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Kreislaufwirtschaft im Gesundheitswesen durch Medical Remanufacturing

Ein Interview mit Anna Schulte von Fraunhofer UMSICHT über Medical Remanufacturing und den Aufbruch in ein nachhaltiges Gesundheitswesen.
12. April 2021
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Kreislaufwirtschaft im Gesundheitswesen durch Medical Remanufacturing

Vanguard hat es sich zum Ziel gesetzt, die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) im Gesundheitswesen zu ermöglichen. In der Studie “Combining Life Cycle Assessment and Circularity Assessment to Analyze Environmental Impacts of the Medical Remanufacturing of Electrophysiology Catheters” verglich Fraunhofer UMSICHT die Neuproduktion eines Katheters mit einem von Vanguard wiederhergestellten Katheter hinsichtlich deren Auswirkungen auf die globale Erwärmung sowie deren Ressourcenverbrauch. Wir haben bei Frau Anna Schulte, Autorin der Studie, nachgefragt, welchen Beitrag Medical Remanufacturing im Vergleich zur Neuproduktion von Medizinprodukten beim Übergang in eine nachhaltige Gesundheitsversorgung leistet.

 

Erzählen Sie uns bitte etwas zu Fraunhofer UMSICHT

Fraunhofer UMSICHT ist eines von 74 Fraunhofer Instituten und hat einen Standort in Oberhausen, einen Institutsteil in Sulzbach-Rosenberg (Bayern) und ein Kunststofftechnikum in Willich. Als Institut der Fraunhofer-Gesellschaft sind wir weltweit vernetzt und fördern die internationale Zusammenarbeit.

 

Welche Ziele verfolgt Fraunhofer UMSICHT?

Der Wandel zu einem nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaftssystem erfordert Verantwortung, großes Engagement und die Kooperation aller gesellschaftlichen Gruppen. Fraunhofer UMSICHT ist Wegbereiter in eine nachhaltige Welt, stellt wissenschaftliche Ergebnisse bereit und transferiert sie in Unternehmen, Gesellschaft und Politik. Unsere Forschung wollen wir verständlich machen und Menschen motivieren, mit uns den Übergang in eine nachhaltige Gesellschaft zu begleiten.

 

Was sind die Forschungsgebiete und -themen von Fraunhofer Umsicht?

Das Institut erforscht und entwickelt gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern klimaneutrale Energiesysteme, ressourceneffiziente Prozesse und zirkuläre Produkte, die Beiträge zum Erreichen der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen leisten. Wissen, Methoden, Technologien, Produkte und Dienstleistungen in den Geschäftsfeldern Polymerwerkstoffe, Chemie, Umwelt, Biomasse und Energie bringen wir mit aller Kraft zur Anwendungsreife.

 

In welchem Bereich arbeiten Sie?

Ich bin Teil des Nachhaltigkeitsbewertung-Teams bei Fraunhofer UMSICHT (Abteilung Nachhaltigkeit und Partizipation) und beschäftige mich z.B. mit Methoden zur Erfassung und Bewertung von Produkten und Technologien in Bezug auf deren Umweltwirkungen. Damit leisten wir einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Ziel ist die Verbindung von Wissen, um Menschen, Ressourcen und Technologien mit modernen Managementinstrumenten nachhaltig zu begleiten.

 

Welche wissenschaftlichen Methoden wenden Sie dabei an?

Unsere Methoden dabei sind Nachhaltigkeitsbewertungen, Ökobilanzierung, Stoffstrom- und Energiebilanzen, Stakeholder-Einbindung, Design Thinking, Digitale Fertigung und Technikscouting. Wir entwickeln in unseren Projekten z.B. Klimaschutzstrategien, Produktoptimierungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg oder Circular Economy Konzepte.

 

Wo liegt Ihr fachlicher Schwerpunkt?

Mein persönlicher Schwerpunkt liegt im Bereich Circular Economy, vor allem für Kunststoffprodukte und -materialien. Derzeit forsche ich im Cluster of Excellence: Circular Plastics Economy (CCPE), in dem sechs Fraunhofer-Institute gemeinsam die Wertschöpfungskette der Kunststoffe zirkulärer gestalten. Ziel des Clusters ist es, weniger fossile Ressourcen zu entnehmen, Produkte intelligent zu gestalten und lange zu nutzen sowie End-of-Life-Verluste zu reduzieren. Dabei sind Methoden zur Erfassung und Bewertung der Umweltwirkungen von Produkten und Materialien in Bezug zur Circular Economy von signifikanter Bedeutung, um eine nachhaltige Umsetzung von Strategien der Circular Economy, wie beispielsweise das Medical Remanufacturing, sicherzustellen.

Wer zu unseren Forschungsschwerpunkten noch etwas mehr erfahren möchte, kann einige unserer umsichtigen Wegbereiter in eine nachhaltige Welt in diesem Video kennenlernen:

Welchen Stellenwert nimmt Kreislaufwirtschaft (Circular Econony)  aus Ihrer Sicht zur Erreichung von Klimazielen ein?

Die Transformation hin zu einer Circular Economy, die zum Ziel hat, den primären Ressourceneinsatz, die Abfallproduktion und die Emissionen zu minimieren, ist ein wichtiges Leitbild und Schlüsselelement zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs).

Klimaschutz ist eines dieser Ziele, zu denen eine Circular Economy einen Beitrag leisten kann. Darüber hinaus hat eine Circular Economy auch das Potenzial, zum nachhaltigen Konsum und zur nachhaltigen Produktion beizutragen. Dabei ist eine Circular Economy ein theoretisches Konzept, das darauf abzielt, wirtschaftliches Wachstum vom Verbrauch endlicher Ressourcen zu entkoppeln, um Materialien und Produkte jederzeit zu ihrem höchst möglichen Nutzen und Wert im Kreislauf zu halten.

In der Realität müssen wir allerdings belastbare Beispiele finden, die durch zirkuläre Wertschöpfung einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Reduktion der Entnahme von Ressourcen führen.

 

Welchen Beitrag leistet in diesem Rahmen Medical Remanufacturing für den Gesundheitssektor?

Unsere Studie hat gezeigt, dass das Medical Remanufacturing in beiden Kategorien einen signifikanten Beitrag im Vergleich zur Neuproduktion leisten kann.

Im Vergleich zur Nutzung eines neu produzierten Elektrophysiologie-Katheters, kann die Nutzung eines Katheters aus dem Medical Remanufacturing den Beitrag zur globalen Erderwärmung um ca. die Hälfte senken (50,4 %). Das bedeutet, dass das Medical Remanufacturing einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Einsparung von Primärressourcen leisten kann und dabei gleichzeitig wirtschaftlich ist.

Das Verfahren ist ein tolles Beispiel, wie die Transformation hin zu einer Circular Economy gelingen kann. In einer weiteren Modellierung über mehrere Lebenszyklen konnten wir in der Studie abschätzen, dass ca. 450 000 t kg CO2-eq. jährlich in Deutschland eingespart werden könnten.

 

Wo liegen die Unterschiede zwischen dem Recycling und dem Medical Remanufacturing vom Einmalmedizinprodukten?

Derzeit steht Recycling noch im Fokus der Diskussionen rund um die Circular Economy. Dabei ist das eigentlich in den meisten Fällen die unprofitabelste Option – wirtschaftlich wie ökologisch.

 

Können Sie das näher erläutern?

In der Circular Economy geht es um die Werterhaltung. Diese Werterhaltung wird erreicht, indem Produkte nach ihrer Nutzung zu ihrem höchst möglichen Wert und Nutzen im Kreislauf geführt werden.

Beim Recycling wird nur der Wert des Materials erhalten, also z.B. der Wert eines Kunststoffes aus recyceltem Material.

Beim Remanufacturing geht es hingegen um die Wiederherstellung eines Produktes, welches die gleichen Anforderungen und die gleiche Qualität wie ein neu hergestelltes Produkt haben muss. Beim Medical Remanufacturing wird also der Wert des Produktes erhalten, in diesem Fall (der Studie) der Wert eines Elektrophysiologie-Katheters, und der ist deutlich höher als der Wert des recycelten Materials.

Dabei geht es nicht nur um den ökonomischen Wert, der erhalten wird, sondern auch um einen ökologischen Wert. Wenn das Recycling und die Neuproduktion aus recycelten Materialien mehr Energie verbraucht als ein Remanufacturing, wird auch ein größerer ökologischer Wert erhalten.

Hinzukommend, werden in Medizinprodukten häufig Hochleistungspolymere verwendet, also komplexe Kunststoffe, die im kommunalen Recycling keine signifikante Bedeutung haben. Eine direkte Wiederverwendung ohne Aufbereitung, also ohne Sterilisation der Produkte, ist ebenfalls keine Möglichkeit, da bei Medizinprodukten vor allem die Patientensicherheit im Vordergrund steht.

Das Medical Remanufacturing für Einmalmedizinprodukte bietet das größte Potenzial, aus Circular Economy Perspektive, einen maximalen ökonomischen und ökologischen Wert in der Wertschöpfungskette zu halten.

 

Was macht die Studie “Combining Life Cycle Assessment and Circularity Assessment to Analyze Environmental Impacts of the Medical Remanufacturing of Electrophysiology Catheters” aus Ihrer Sicht besonders interessant?

Wir konnten in unserer Recherche keine Studien identifizieren, die sich explizit mit den Umweltwirkungen des Medical Remanufacturings von Medizinprodukten beschäftigen, obwohl es Studien dazu gibt, die das Potenzial klar herausarbeiten.

Zusätzlich haben wir uns nicht nur die Umweltwirkungen der Nutzung eines wiederhergestellten Katheters im Vergleich zur Nutzung eines Katheters aus Neuware angeguckt, sondern auch die Zirkularität dieser Strategie und welche Umweltwirkungen daraus in einer Systemperspektive entstehen.

Wir konnten zeigen, dass die Umwelteinsparungen pro Katheter mit zunehmender Rücknahmerate der Katheter für ein mögliches Remanufacturing steigen. Das bedeutet, dass je mehr Katheter eingesammelt und aufbereitet werden, desto höher werden auch die Einsparungen pro Katheter.

 

Woran forscht Fraunhofer Umsicht UMSICHT aktuell und welche Themen erwarten uns 2021?

Das Thema der Circular Economy wird uns nicht mehr loslassen. Wir forschen u.a. weiter daran, die Wertschöpfungskette der Kunststoffe zirkulärer zu gestalten. Denn, das Problem ist nicht der Kunststoff, sondern unser Umgang damit. Kunststoffprodukte gehören zur modernen Gesellschaft, bieten hervorragende Eigenschaften und sind häufig langlebige Werkstoffe, die im Falle einer unsachgemäßen Entsorgung (littering) für hunderte von Jahren in der Umwelt verbleiben können. Geeignete Technologien, Materialien und Verfahren stehen dabei im Vordergrund.

 

Vielen Dank für das Interview.

 

 

Weitere Informationen zu Fraunhofer UMSICHT:

>> Abteilung Nachhaltigkeit und Partizipation

>> Fraunhofer-Cluster CCPE

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